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2 Vergleich der Elektrodynamiken

2.1 Maxwellsche Elektrodynamik

Die Maxwellsche Elektrodynamik ist derzeit die Standardelektrodynamik und besteht (für das Vakuum) aus vier Differentialgleichungen [16] [17]
$$\nabla\cdot\vec{E} = \frac{\rho}{\varepsilon_0},$$ (2.1.1)
$$\nabla\cdot\vec{B} = 0,$$ (2.1.2)
$$\nabla\times\vec{E} = -\frac{\partial\vec{B}}{\partial t},$$ (2.1.3)
$$\nabla\times\vec{B} = \mu_0\,\vec{j} + \frac{1}{c^2}\,\frac{\partial\vec{E}}{\partial t}$$ (2.1.4)
und der ergänzenden Formel
$$\vec{F} = q_d\,\vec{E} + q_d\,\vec{v}\times\vec{B}.$$ (2.1.5)
Die Formel (2.1.5) bezeichnet man als Lorentzkraft. Die Gleichung liefert die Kraft $\vec{F}(\vec{r},\vec{v},t)$, welche durch das elektrische Feld $\vec{E}(\vec{r},t)$ und das magnetische Feld $\vec{B}(\vec{r},t)$ auf eine punktförmige Probeladung $q_d$ verursacht wird, welche sich zum Zeitpunkt $t$ am Ort $\vec{r}$ befindet. Die Felder $\vec{E}(\vec{r},t)$ und $\vec{B}(\vec{r},t)$ sind Größen, die man mathematisch berechnen kann, indem man die aus der Problembeschreibung folgende Ladungsdichte $\rho(\vec{r},t)$ und Stromdichte $\vec{j}(\vec{r},t)$ einsetzt und das Differentialgleichungssystem (2.1.1) bis (2.1.4) löst. Das Lösen von partiellen Differentialgleichungssystemen erfordert allerdings sehr viel Erfahrung und mathematisches Geschick und ist in der Regel nur bei sehr einfachen Aufgabenstellungen möglich.

Von besonderer Bedeutung ist die Geschwindigkeit $\vec{v}$. Üblicherweise verwendet man für $\vec{v}$ die Geschwindigkeit der Probeladung $q_d$ im Bezugssystem des Labors, also in dem Bezugssystem, in dem auch die felderzeugende Apparatur steht. Da elektrische Ströme in metallischen Leitern aus sehr vielen Ladungsträgern bestehen die sich nur äußerst langsam bewegen, ist $\vec{v}$ in der Elektrotechnik fast immer auch so gut wie identisch mit der Relativgeschwindigkeit zwischen der Probeladung $q_d$ und den felderzeugenden Ladungen in den Drähten und metallischen Leiterbahnen.

Die Felder $\vec{E}(\vec{r},t)$ und $\vec{B}(\vec{r},t)$ sind Hilfsgrößen, da man letztlich nur die Kraft $\vec{F}(\vec{r},\vec{v},t)$ messen kann. Es ist eine Konvention, dass man die Größe $\vec{F}(\vec{r},\vec{v} = \vec{0},t)/q_d$ als elektrische Feldstärke $\vec{E}(\vec{r},t)$ bezeichnet. Der verbleibende Rest der Lorentzkraft (2.1.5) ist der magnetische Anteil.

Man beachte, dass das Magnetfeld $\vec{B}$ eine Größe ist die eingeführt wurde, um in einfacher Weise die Kraft zwischen Permanentmagneten zu beschreiben. Oersted und Ampere entdeckten aber bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts, dass diese magnetischen Kräfte durch elektrische Ströme verursacht werden [18]. Das gilt auch für Permanentmagneten, da diese zahlreiche kleine Kreisströme enthalten. Das Magnetfeld war daher eigentlich bereits um 1850 ein veraltetes Konzept. Leider wurde es durch den Erfolg der Maxwellgleichungen bei der Beschreibung von elektromagnetischen Wellen wieder fest in die Elektrodynamik integriert.

2.2 Weber-Elektrodynamik

Die Weber-Elektrodynamik ist eine sehr alte Elektrodynamik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts [3] [4] [5] [6], also aus einer Zeit vor der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen. Die Weber-Elektrodynamik ist eine sehr kompakte und elegante Darstellung des naturwissenschaftlichen Wissens der damaligen Zeit in Form einer einzigen Formel, welche man Weber-Kraft nennt.

Nach damaligen Kenntnisstand glaubte man, dass man die elektromagnetische Kraft, welche eine Punktladung $q_s$ auf eine andere Punktladung $q_d$ erzeugt, durch die Formel
$$\vec{F} = \frac{q_s\,q_d}{4\,\pi\,\varepsilon_0}\,\left(1 + \frac{v^2}{c^2} - \frac{3}{2}\left(\frac{\vec{r}}{r}\cdot\frac{\vec{v}}{c}\right)^2\right)\,\frac{\vec{r}}{r^3}$$ (2.2.1)
vollständig beschreiben kann. Bei $\vec{r}$ handelt es sich um den Abstandsvektor
$$\vec{r} := \vec{r}_d(t) - \vec{r}_s(t)$$ (2.2.2)
der Punktladungen $q_s$ und $q_d$ mit den Bahnkurven $\vec{r}_d(t)$ und $\vec{r}_s(t)$. Im Gegensatz zur auch heute noch sehr bekannten Coulombkraft, hängt die Weber-Kraft (2.2.1) aber auch noch von der Relativgeschwindigkeit
$$\vec{v} := \dot{\vec{r}}_d(t) - \dot{\vec{r}}_s(t)$$ (2.2.3)
ab.

Es ist interessant und wichtig zu betonen, dass die Weber-Kraft bei Gleichströmen und niederfrequentem Wechselstrom hervorragend funktioniert und einige Effekte erklärbar macht, die man nur anhand der Maxwellgleichungen schwer verstehen kann [19] [20] [21]. Ganz offensichtlich braucht man für sehr viele Fragestellungen in der Elektrotechnik kein Magnetfeld. Stattdessen zeigt die Weber-Kraft, dass die Lorentzkraft ein Mehrteilcheneffekt ist und durch verschiedene Relativgeschwindigkeiten der Ladungsträger in einem Linienstrom entsteht. Die Weber-Kraft ist damit mehr als nur eine mathematische Beschreibung, da sie auch eine Komprimierung des Wissens und eine interpretative Deutung des Magnetismus darstellt.

Leider kann die Weber-Kraft keine elektromagnetischen Wellen beschreiben, zumindest nicht in direkter Weise und ohne ein Übertragungsmedium. Dies erkennt man sofort anhand der Tatsache, dass die Weber-Kraft $\vec{F}(\vec{r},\vec{v},t)$ nur von den Orten und Geschwindigkeiten der Punktladungen zum Zeitpunkt $t$ abhängt. Die Weber-Kraft ist daher eine instantane Kraft, die sich von $q_s$ nach $q_d$ ohne jegliche Verzögerung ausbreitet. Dies steht im Widerspruch zu zahlreichen wichtigen Effekten, was sie leider für die Elektrotechnik weitgehend unbrauchbar macht.

2.3 Weber-Maxwell-Elektrodynamik

Die Weber-Maxwell-Elektrodynamik [22] [23] [2] [24] ist, soweit es die Elektrotechnik betrifft, äquivalent zur Maxwellschen Elektrodynamik. Sie basiert allerdings nicht auf Ladungs- und Stromdichten, sondern arbeitet mit Paaren von Punktladungen, ähnlich wie das Coulombgesetz oder die Weber-Kraft (2.2.1), welche beide als Spezialfälle enthalten sind.

Die Formel für die elektromagnetische Kraft die eine Punktladung $q_s$ mit der Bahnkurve $\vec{r}_s(t)$ auf eine andere Punktladung $q_d$ mit der Bahnkurve $\vec{r}_d(t)$ ausübt lautet in der Weber-Maxwell-Elektrodynamik
$$\vec{F} = \frac{q_d\,q_s\,\gamma(v)\,\left(\left(\vec{r}\,c + r\,\vec{v}\right)\left(c^2 - v^2 - \vec{r}\cdot\vec{a}\right) + \vec{a}\,r\,\left(r\,c + \vec{r}\cdot\vec{v}\right)\right)}{4\,\pi\,\varepsilon_0\,\left(r\,c + \vec{r}\cdot\vec{v}\right)^3},$$ (2.3.1)
wobei zur Verkürzung der Schreibweise der retardierte Abstandsvektor
$$\vec{r} := \vec{r}_d(\tau) - \vec{r}_s(\tau),$$ (2.3.2)
die retardierte Differenzgeschwindigkeit
$$\vec{v} := \dot{\vec{r}}_d(\tau) - \dot{\vec{r}}_s(\tau),$$ (2.3.3)
und die retardierte Differenzbeschleunigung
$$\vec{a} := \ddot{\vec{r}}_d(\tau) - \ddot{\vec{r}}_s(\tau)$$ (2.3.4)
eingeführt wurden. Bei $\gamma(.)$ handelt es sich um den Lorentzfaktor. Zusätzlich benötigt man noch den Zeitpunkt $\tau$, welchen man mit Hilfe der Gleichung
$$\tau = t - \frac{\Vert\vec{r}_d(\tau) - \vec{r}_s(\tau)\Vert}{c}$$ (2.3.5)
iterativ berechnen kann, indem man irgendeinen beliebigen Anfangswert (z.B. $\tau = t$) wählt und diesen rekursiv solange einsetzt, bis sich $\tau$ nicht länger signifikant verändert. Die Fixpunktiteration konvergiert nachweislich immer, sofern die Differenzgeschwindigkeit der beiden Punktladungen zueinander kleiner ist als die Lichtgeschwindigkeit $c$. Der Zeitpunkt $\tau$ entspricht anschaulich gesprochen dem Zeitpunkt, als die Kraft die Ladung $q_s$ verlassen hat um zum Zeitpunkt $t$ die Ladung $q_d$ zu erreichen.

Wie man sieht, handelt es sich bei Gleichung (2.3.1) nicht um eine Differentialgleichung. Kennt man die Bahnkurven $\vec{r}_s(t)$ und $\vec{r}_d(t)$ für alle Zeiten kleiner oder gleich $t$, so kann man die Kraft $\vec{F}(\vec{r},\vec{v},t)$ zum Zeitpunkt $t$ berechnen, indem man einfach einsetzt. Das lässt sich mit Hilfe eines einfachen Computerprogramms in Python oder C++ realisieren. Kenntnisse in Vektoranalysis und Differentialgeometrie sind nicht erforderlich.

2.4 Zusammenhang zwischen den Elektrodynamiken

Maxwellsche Elektrodynamik und Weber-Maxwell-Elektrodynamik sind für nichtrelativistische Geschwindigkeiten äquivalent, denn bei Gleichung (2.3.1) handelt es sich um die Lösung der Maxwellgleichungen für Punktladungen [1]. Den Beweis findet man hier. Die Einschränkung auf den nichtrelativistischen Bereich ist deshalb notwendig, weil die Weber-Maxwell-Kraft genau genommen nur die Lösung der Maxwellgleichungen für ein beliebig bewegtes $q_s$ aber ein ruhendes $q_d$ darstellt. Die Verallgemeinerung auf beliebig bewegte $q_d$ wurde mit Hilfe einer Galileitransformation erreicht. Das ist nur im nichtrelativistischen Bereich ein anerkannt valides Verfahren. Man beachte aber, dass die Gleichung (2.3.1) zusammen mit der Gleichung (2.3.5) trotzdem die beiden Einsteinschen Postulate erfüllt.

Dass das Relativitätsprinzip erfüllt ist, erkennt man daran, dass die Gleichung (2.3.1) nicht von der Wahl des Bezugssystems abhängt. Das heißt, die Formeln der Weber-Maxwell-Elektrodynamik haben in jedem Inertialsystem und sogar in jedem Nichtinertialsystem die gleiche Form, denn die Koordinatentransformationen wirken sich nur auf $\vec{r}_d(t)$ und $\vec{r}_s(t)$ aus. Weiterhin erkennt man, dass sich wegen Gleichung (2.3.5) die elektromagnetische Kraft in allen beliebigen Bezugssystemen nicht schneller als mit Vakuumlichtgeschwindigkeit $c$ ausbreiten kann.

Dass die beiden Einsteinschen Postulate in der Weber-Maxwell-Elektrodynamik auch ohne die Lorentztransformation erfüllt sind, ist ein großer Vorteil. Die Maxwellsche Elektrodynamik ist im Gegensatz dazu nämlich selbst bei kleinen Relativgeschwindigkeiten nur mit Lorentztransformation verwendbar. In der Elektrotechnik ignoriert man dies praktisch immer was dann zu subtilen Problemen führen kann, da die Lösungen dann nur noch Approximationen sind, die z.B. die Impulserhaltung verletzen.

In der Weber-Maxwell-Elektrodynamik ist hingegen auch bei sehr großen Geschwindigkeiten garantiert, dass die Impulserhaltung gilt, dann man kann an Gleichung (2.3.1) leicht erkennen, dass beim Vertauschen von Quellladung und Zielladung die Kraft lediglich ihr Vorzeichen umkehrt. Das bedeutet, dass das dritte Newtonsche Gesetz erfüllt ist.

Wichtig ist, dass die Weber-Maxwell-Elektrodynamik auch zur Weber-Elektrodynamik kompatibel ist, da man durch die Näherungen $a \approx 0$ und $v \ll c$ zur Weber-Kraft (2.2.1) gelangt. Beim Nachweis der Äquivalenz sollte man darauf achten, dass $\vec{r}$ in der Weber-Elektrodynamik der nichtretardierte Abstandsvektor und in der Weber-Maxwell-Elektrodynamik hingegen der retardierte Abstandsvektor ist. Den Beweis findet man hier.

Wie man erkennt, verbindet die Weber-Maxwell-Elektrodynamik die Vorteile beider Denkschulen (Maxwellsche Elektrodynamik und Weber-Elektrodynamik) und eliminiert die jeweiligen Nachteile. Die Weber-Maxwell-Elektrodynamik ist im Übrigen auch mit der Newtonschen Elektrodynamik von Peter und Neal Graneau [25] kompatibel, da diese den quasistatischen Grenzfall der Weber-Maxwell-Elektrodynamik bildet. Für Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit ist die Weber-Maxwell-Elektrodynamik allerdings nicht geeignet, da noch zu untersuchen ist, wie die relativistische Mechanik angewendet werden muss. Dies ist Gegenstand der aktuellen Forschung.